„Das Kraut des Internisten und das Messer des Chirurgen heilen von außen, doch der Atem heilt von innen.“
Paracelsus 1493-1541

Es geht nicht um „entweder – oder“ sondern um „sowohl – als auch“. Paracelsus selbst hat neue Möglichkeiten der Medizin erforscht und entwickelt, ohne dabei die Wurzeln alten Wissens zu verlieren. Zweifelsfrei hat die heutige Medizin enorme Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie eröffnet, zum Segen vieler Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen. Dennoch darf ein ausschließlich schulmedizinischer Ansatz hinterfragt werden:

„Der herrschende Denkstil in der modernen Medizin – und nicht nur da –  ist weitgehend geprägt durch den Glauben an mechanisch-kausale Zusammenhänge, die rein rational durch statistische und schematische Methoden erforscht und für allgemeingültig erklärt werden. Damit wird die unmittelbare Sinneswahrnehmung ausgeblendet. Die Folge ist eine zunehmende Entfremdung von den tieferen Schichten des Erlebens.“
Prof. Dr. med. Peter Petersen, emeritierter Professor für Psychotherapie und Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, atemerleben 50 Jahre AFA®-Festschrift 2008

Atemtherapie bietet mit ihrem sinnenhaften Erleben eine wohltuende Ergänzung zur Schulmedizin. Dabei zeigt das Wesen des Atems selbst, wie wirkungsvoll die Einsatzmöglichkeiten sind.

Atem ist unser Seismograph. Er reagiert auf alles, immer und sofort. Jede Veränderung, jede körperliche, geistige oder seelische Herausforderung schlägt sich im Atemmuster nieder. Der Atem wird schnell, eng und ruhelos. Bewusst nehmen wir diese Veränderungen meist nicht wahr. Die Regulation geschieht über das vegetative, das autonome Nervensystem, das jenseits unseres Bewusstseins arbeitet. Dieses Nervensystem sichert alle unsere organischen Grundfunktionen. So schlagen sich diese Veränderungen, die der Atem zeigt, aber auch auf alle anderen Funktionen des Körpers nieder. Magen- und Verdauungsbeschwerden, Migräne, Spannungskopfschmerz, Verspannungen und Schmerzen in der Wirbelsäule, Bluthochdruck, Herzrasen, Schlaflosigkeit u.v.m. lassen uns wissen, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Gesundung kann gelingen, wenn wir uns wieder selbst spüren, selbst kennen und annehmen lernen. Atemtherapie fördert diese Wahrnehmung. Es geht nicht um „richtig oder falsch“, um „gut oder schlecht“, sondern darum, das „Wahre zu nehmen“. Atemtherapie lehrt Achtsamkeit und Hingabe. Es gilt hinzuhören und wahrzunehmen, zu lauschen, was uns unser Körper mitteilen will. Dann kann sich in der Atembehandlung unser Atem entfalten und damit unsere gesamte Persönlichkeit. Im Wahren, im Ganzen, im Heilen liegen Heilung und Gesundung.

„Atmen“ heißt im Lateinischen „spirare“. Atem wird seit jeher gleichgesetzt mit „Geist“ – „Spiritus“ und stellt somit die Quelle für spirituelle und seelische Bedürfnisse des Menschen dar. „Inspiration“ lässt aber auch geistige Entfaltung zu. In seiner physiologischen Funktion transportiert Atem den lebensnotwendigen Sauerstoff für den menschlichen Körper. Atem erreicht den Menschen auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene. Diese drei Ebenen werden mit Atemtherapie angesprochen und in ein gleichwertiges Miteinander gebracht.

Atem ist rhythmisches Geschehen. Unser ganzes Leben ist rhythmisch geordnet: Kosmos, Jahreszeiten, Tagesablauf, Herzschlag, Atmung… Die Freiheit des Menschen ermöglicht es, diese Ordnung zu verlassen und Entrhythmisierung und damit auch Chaotisierung zu schaffen. Sie sind notwendig für Weiterentwicklung und Entdecken von Neuem. Der Mensch erfährt sich spürbar, wenn er seine Grenzen überschreitet. Gleichzeitig werden diese Veränderungen warnendes Symptom. Umso wichtiger ist es, zum eigenen Kern zurück zukehren und sich im eigenen Zentrum zu verankern. Atemtherapie bietet Rhythmus, Beheimatung und stabilisierende Ordnung.

Ein Wesenszug des Atems ist, dass wir ihn nicht „machen“ können, sondern dass Einatmung, d.h. Inspiration von alleine kommt. Wir können sie uns „nur“ schenken lassen. Je gelassener, je absichtsloser wir sind, umso mehr entfaltet sich unser Atem. Viele Erkrankungen und Symptomenkomplexe sind gekennzeichnet von einer Not des „nicht Genügen“, des „Defizitären“, der „Atemlosigkeit“, des „noch mehr …“. Atemtherapie schafft Ruhe und Gelassenheit, in der sich Inspiration einstellt und uns Erfüllung und Sinnhaftigkeit schenkt.
 

Atemwegserkrankungen sind auf dem Vormarsch. Asthmatische Beschwerden, chronisch obstruktive Veränderungen der Atemwege, Lungenemphysem nehmen signifikant zu. Verschiedene Ursachen und Auslöser rufen diese Krankheitsbilder hervor. Dementsprechend verschiedenartig werden therapeutische Maßnahmen gezielt eingesetzt. Medikamente lösen den Spasmus der Bronchialmuskulatur, bringen die Schleimhaut zum Abschwellen und verflüssigen zähen Schleim. Physiotherapeutische Begleitung verbessert den Gesundheitszustand der Betroffenen auf vielfältige Weise. Lungensport fördert die Kondition, Atemgymnastik erhält die Beweglichkeit.

Trotzdem kennen nicht nur Menschen, die an Asthma bronchiale, COPD oder einem Lungenemphysem leiden, das beklemmende Gefühl einer behinderten oder eingeschränkten Atemfunktion, das Gefühl von Atemnot. Atemnot ruft Angst hervor, Angst Verspannung, Verspannung Atemnot, Atemnot Angst. Der Teufelskreis ist geschlossen. Menschen ziehen sich zurück und schotten sich ab.

Die behutsame Behandlung in der Atemtherapie lässt den Klienten zur Ruhe kommen, er muss gar nichts tun. Er wird nicht gefordert und kann nichts falsch machen. Er darf sich ganz der Behandlung hingeben. Je entspannter der Klient ist, umso stärker baut sich die Kraft des Atems auf. Das Vertrauen in diese Kraft des Atems wächst und somit das Vertrauen in die eigene persönliche Stärke. Seelische und körperliche Stabilität entstehen. Auf diesem sicheren Fundament kann losgelassen, kann Lösung zugelassen werden – eine tiefe Lösung, auch der verspannten Bronchial- und Atemmuskulatur. Atemluft strömt ungehindert aus. Tiefe Einatmung setzt ein. Das Zwerchfell schwingt frei. Der Atem erfüllt den ganzen Körper und schafft Weite, Raum und Sicherheit.


Menschen atmen wieder auf.

Atem ist Bewegung und Bewegung ist Atem. Atem ist ein ununterbrochenes Geschehen von ein und aus, von weit und schmal werden. Zu oft werden wir in unserer inneren und äußeren Bewegungsfreiheit beschnitten. Wir müssen funktionieren, wir werden in bestimmte Abläufe gepresst, ein Ausscheren hat Sanktionen zur Folge. Haltung und Hartnäckigkeit scheinen trotzdem von Nöten. Da wir uns diese mühsam abringen müssen, schlagen sie sich in Form von Bandscheibenproblemen, Rückenschmerzen, Schulter-Arm-Syndrom etc. nieder. Wir müssen aushalten – durchhalten! Eine gesunde, elastische Haltung ist uns jedoch abhanden gekommen. Diese Beeinträchtigung von Beweglichkeit und Haltung findet sich in der Atembewegung wieder. Geschmeidigkeit und Schwung, Bewegungsfreiheit und Bewegungsfreude gehen verloren. Wenn wir uns der Atembehandlung hingeben, können wir loslassen. Der Atem fängt wieder an zu schwingen und dehnt sich über den ganzen Körper aus. Die Atemkraft schenkt Aufrichtung und Stabilität, verbessert die innere und äußere Haltung, fördert Beweglichkeit und Elastizität.

Menschen mit chronischen Schmerzen sind in ihrer gesamten Lebensqualität betroffen. Seelisches Leid und körperliche Beeinträchtigungen rufen Schmerzen hervor, Schmerzen führen zu seelischem Leid und körperlichen Beeinträchtigungen. Betroffene können sich nur noch in ihrem Schmerz wahrnehmen. Sie versuchen Schmerzauslöser zu vermeiden, ziehen sich zurück, sind berührungsempfindlich. Gleichzeitig ist die Sehnsucht nach Berührung groß. In der Atemtherapie dürfen sich Menschen ganz dieser heilsamen Berührung hingeben. Eine neue Wahrnehmung bahnt sich ihren Weg. Der Atem nimmt an Kraft zu, Lösung kann zugelassen werden. Entspannung und Aufatmen stellen sich ein. Schmerzfreie Ressourcen werden gefunden.